Touch-down in Wien | Wie viele Zeichen, Farben und Bilder verträgt ein Flughafen?

Beitrag in: Von analogen und digitalen Zugängen zur Kunst: Festschrift für Hubertus Kohle zum 60. Geburtstag, hrsg. von Maria Effinger/ Harald Klinke/ Bernd Krysmanski, Heidelberg: arthistoricum.net, 2019, S. 399–408

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Aufsatz
2018–2019
abgeschlossen
20.08.2024

Die Bilderfrage

Nostalgikern unter den Kunsthistorikern des Digitalen, die sich für den Wandel des Bildortes Flughafen interessieren, sei als Einstieg der weitgehend unterschätzte Spielfilm Terminal (2004) von Steven Spielberg ans Herz gelegt. Gleich die Titelsequenz ist eine Hommage an eine Ära der Luftfahrt, die sich noch bewusst war, was für eine besondere und bildeindrückliche Form des Reisens das Fliegen eigentlich ist: In drei aufeinanderfolgenden, aus unterschiedlichen Raumperspektiven startenden Kameraanflügen auf die ‚Fallblatttafel‘ „Departures“ am John F. Kennedy International Airport, New York, erscheinen der Name des Studios wie der Filmtitel darin hervorgehoben eingebettet als wären es Flugdaten.[1] Der Charme solcher Fallblattanzeigen ist inzwischen mit diesen weitgehend verschwunden und nüchternen digitalen ‚Flight Information Display Systems‘ gewichen.[2]

Dass ein Flughafen primär funktional sein muss, steht wohl außer Zweifel. Denn der Reisende ordnet sich dem System Fliegen nicht nur bereitwillig unter, sondern fordert sogar die totale Lenkung seiner eigenen Person, gerade auch durch Architektur und Design.[3] Hinter dieser Selbstüberantwortung steht die Verständigung auf ein Höchstmaß an Effizienz, Sicherheit und Komfort. Das Kapital, um das es hier geht, ist vor allem Vertrauen. Daher werden von einem zeitgemäßen Flughafen neben der Funktionalität noch zwei weitere Merkmale erwartet, welche jenen Wert tragen helfen: Transparenz und Ästhetisierung.[4]

Vor dem Ringen um die Balance dieses Dreiklangs lief auf dem Flughafen Wien-Schwechat bis vor kurzem ein wohl einzigartiges Experiment um die Bilderfrage, das im Folgenden wenigstens festgehalten sei. Als die Architekten und Designer des neuen Terminals 3 nach der Eröffnung 2012 abgezogen waren, um sich anderen Aufgaben zu widmen, übernahmen die Betreiber und Flugreisenden das Ensemble. Die Folie des Masterplans hatte eine Architektur in Schwarz mit weißen bis transparenten Innenelementen vorgesehen, die in ihrer Reduktion als „erlebbarer Rahmen“ in Form einer „Maschinenhalle der Bewegung“ der „entfesselten Mobilität mit ruhiger Geste antwortet“ (Baumschlager Eberle Architekten).[5] Dieses Konzept galt ausgehend von den großen Baukörpern bis hinein in die Ausstattung und das Leitsystem (Abb. oben).[6]

Nun war also der Alltag mitsamt seiner kolorierten Betriebsamkeit und flackernden Medialität eingefallen und bemächtigte sich nicht nur der dafür vordefinierten Bereiche, wie etwa der hell leuchtenden Funktions- und Shop-Boxen im ‚Canyon‘ der Ankunftsebene. In permanenter Penetranz quollen mit den Menschen die Bilder, Farben und Zeichen scheinbar daraus hervor und drohten das Leitsystem zu ertränken. Kaum im Gebrauch, wurden am visuellen Konzept des Ensembles daher erste Umformulierungen vorgenommen. Denn bei der Suche nach dem perfekten Flughafen wird es zunehmend wichtiger, dass die ‚entfesselte Mobilität‘ nicht von einem ‚Rauschen der Bilder‘ begleitet wird,[7] sind doch die Bilder selbst einer erhöhten Mobilität unterworfen, die nichts anderes bewirkt als die Immobilität des Betrachters.[8] Man könnte also meinen, es wäre an der Zeit für ‚ruhige Gesten‘, gerade an einem so bewegten Ort wie einem Flughafen![9]

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Anmerkungen

  • 1Dieser Beitrag geht zurück auf einen identisch betitelten Vortrag des Verfassers, gehalten auf dem 14. Internationalen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Semiotik, Verstehen und Verständigung, Sektion Architektur & Design: Leistung und Grenzen der Kommunikation in Architektur und Design, Eberhard Karls Universität Tübingen, 23.–26.9.2014. — Für kritische Textlektüre sei Lucia Klee-Beck, Wien, herzlich gedankt!
  • 2Die Kultstatus genießende Frankfurter Fallblattanzeige, die seit 1972 in Terminal 1 noch immer die Fluggäste über ihren Abflug informiert, konnte man im FRA-Shop Airport Tours & Shop online als Handtuch kaufen, [letzter Zugriff: 24.02.2019].
  • 3Johann Christoph Reidemeister: Die neuere Flughafenarchitektur: Dekonstruktion von Urbanität im Zeichen des Flügels, in: Bodo-Michael Baumunk (Hrsg.): Die Kunst des Fliegens, Ausst.-Kat. Zeppelin Museum Friedrichshafen, Ostfildern-Ruit: Hatje 1996, 188–193, hier 189.
  • 4Zu den von einem zeitgemäßen Flughafen geforderten Kriterien Funktionalität, Transparenz und Ästhetisierung siehe ibid., 188–193.
  • 5So Baumschlager Eberle Architekten auf ihrer Website am 18.5.2012. Inzwischen ibid.: „Transparent – transluzent – leuchtend: Dieser Ansatz macht die Halle zum erlebbaren Rahmen für ein ausgefeiltes Passagierflusskonzept, zu einem Ort, der mit ruhiger Geste auf die hektische Mobilität antwortet. Und zu einem Gebäude, das dank seiner flexiblen Struktur den Anschluss an die Zukunft sichert.“ siehe: Werk > Projekte > Flughafen Wien Check-in 3, [letzter Zugriff: 16.08.2024].
  • 6Vgl. auch zum Folgenden Ralph Knickmeier: Flughafenbau als Bildakt | Picturing Airport Architecture, in: Roman Bönsch (Hrsg.): VIE Metamorphosis: Die Veränderung des Flughafen Wien | The Extension and Transformation of Vienna Airport. 2004–2012, Deutsch/ Englisch, Wien: Ambra 2012, 280–287.
  • 7Koos Bosma: Auf der Suche nach dem perfekten Flughafen, in: Alexander von Vegesack/ Jochen Eisenbrand (Hrsg.): Airworld – Design und Architektur für die Flugreise, Ausst.-Kat. Vitra Design Museum, Weil am Rhein: Vitra-Design-Stiftung 2004, 36–64.
  • 8Dirk Blübaum: Der Blick von oben, in: Baumunk: Die Kunst des Fliegens [wie Anm. 3], 30–35, hier 34.
  • 9Knickmeier: Flughafenbau als Bildakt [wie Anm. 6], 284.