Der Nachbau der Welt

Essayistischer Sammelband meiner wichtigsten kunsthistorischen Beiträge, zusammengetragen unter einem neuen aktuellen Roten Faden: Der Nachbau der Welt, erscheint vorauss. 2025

Kategorie:
Laufzeit:
Projektstatus:
Letztes Update:

Buch
2023–2025
laufend
08.08.2024

Abstract

Während wir mit der Künstlichen Intelligenz (KI) – „der letzten Erfindung“ (Christian Twente 2021) – vor dem Portal eines neuen digitalen Zeitalters im Metaverse stehen, erfährt der analoge Nachbau der Welt eine neue Blüte. Als ob der allgegenwärtige „horizontlose Katastrophismus, in dem wir uns kulturell eingerichtet haben“ (Harald Welzer 2021) ihnen nichts anhaben könnte, begegnen sich Menschen, die mit gelassener Ruhe und Humor im Kleinen zeichenhaft Modelle unseres Zusammenlebens entwickeln. Sie greifen dabei auf altbewährte Kulturtechniken zurück wie das Kunsthandwerk, den Modellbau oder das Diorama und sind durch die unbefangene Einbeziehung digitaler Instrumentarien doch auf der Höhe der Zeit. Die Betrachter dieser Werke sehen sich in einer neuen Kunst- und Wunderkammer wieder. Wie Kinder verharren sie staunend und andächtig stundenlang in diesen verloren geglaubten Welten.

Bereits mit einer gewissen Routine, kürt die Deutsche Zentrale für Tourismus inzwischen Jahr um Jahr das Miniatur Wunderland) in Hamburg zu einer der beliebtesten Touristenattraktionen des Landes, ohne dass sich die Bildwissenschaften bisher diesem Phänomen gewidmet haben. Dabei sind es weniger die zahlreichen Superlative der „größten Modelleisenbahnanlage der Welt“ (Guinness World Records), die den Charme des Ensembles tragen, als vielmehr die Faszination der „MiWuLaner“ an der eigenen Freiheit, tagtäglich ihren Spieltrieb in buchstäblich grenzenlose Landschaften verwandeln zu dürfen (Generalmaßstab 1:87; Nenngröße H0) und dabei persönliche, sich öffentlich verselbständigende Geschichten zu erzählen. Obwohl sich das Konzept einer direkten Politischen Ikonografie verweigert, werden doch unentwegt politische Standpunkte vertreten. Aber anders als etwa in den neuen Bekenntnismuseen, sind diese nicht stereotyp, sondern konkret visualisiert und als „Modell der Welt“ angedacht.

Auf der anderen Seite des Globus bebildert der Japaner Tatsuya Tanaka seit April 2011 jeden Tag mit einer neuen Miniatur aus vertrauten Alltagsgegenständen; publiziert online in seinem ewigen Kalender (www.miniature-calendar.com). Diese offenen Dioramen differieren nicht nur nach Maßstab, Material und investierter Zeit, vielmehr werden deren fotografische Reproduktionen zugleich konsequent verschlagwortet und indexiert. Mit Personalausstellungen wie im Japanischen Pavillon „Where ideas meet“ der Expo in Dubai (2020) oder im Japan House São Paulo (2023) ist Tanaka inzwischen zum anerkannten Vertreter seines Landes avanciert. Seine Arbeiten basieren auf dem in der japanischen Kultur – die seit jeher im Einklang mit der Natur lebt – verwurzeltem ästhetischen Prinzip des ‚Mitate‘, der Bildparodie, visuelle Wortspiele, um fehlende oder leere Objekte durch Fantasie zu kompensieren.

Sind diese und andere haptische Weltmodellierungen nun Ausdruck einer letzten Selbstvergewisserung, bevor der einst allein Gott vorbehaltene Schöpfungsakt endgültig der KI überlassen werden soll? Ist das ein Rückzug ins Private, Realitätsverweigerung oder doch vielleicht ein Hoffnungsschimmer?