überFLÜGE

Beitrag in: Curiosa Poliphili. Festgabe für Horst Bredekamp zum 60. Geburtstag, hrsg. von Nicole Hegener/ Claudia Lichte/ Bettina Marten, Leipzig: E. A. Seemann 2007, S. 114–122

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Aufsatz
2006–2007
abgeschlossen
20.08.2024

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„Es gibt einen besonderen Augenblick, wenn man mit dem Flugzeug landet; der Boden tritt rund und üppig aus der kartenhaften Flachheit hervor, zu der er durch Stunden vermindert war, und die alte Bedeutung, welche die irdischen Dinge wieder erlangen, scheint aus dem Boden zu wachsen.“ (Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, 1931)[1]

Eine lohnende Aufgabe wäre es, über die Bilder nachzudenken, die ein Flughafen evoziert. In eher anekdotisch privaten Nebensätzen der Architekturgeschichte werden zwar bereits seit langem phantastische Blüten zum Leben erweckt und weiter getragen, doch scheint der spontane Augeneindruck des Reisenden darin zurückgenommen, es sei denn, Architekten und Bauherren haben dem Bildcharakter ihres Flughafens eine besondere Bedeutung beigemessen. Ohnehin steht die systematische Erforschung dieser inzwischen nicht mehr ganz jungen Baugattung erst am Anfang[2] und auch im folgenden kann es nur um ein paar Gedankengänge gehen.

Flughäfen gehören zu den größten Bauprojekten der Gegenwart. Aus den einfachen Graspisten zu Beginn des 20. Jahrhunderts haben sich architektonische Gebilde entwickelt, in die bisweilen Milliardenbeträge investiert werden. Im Wüstensand bei Dubai am Persischen Golf[3] wie vor der asiatischen Küste entstehen als künstliche Inseln ganze Flughafenstädte mit vollkommen autarker Infrastruktur und Industrie. Aber auch die kleineren Flughäfen vermitteln ‚Weltbilder’ in augenfällig konzentrierter Form, die sich insbesondere an den aufwendigen Terminals manifestieren. Dabei lassen sich ganz unterschiedliche ikonographische Muster beobachten, die nur scheinbar mehr oder weniger unabhängig von den jeweiligen Kulturkreisen überall auf dem Erdball inszeniert werden können.

Was also mag unser Jubilar beim An- und Abflug sehen, wenn er sich in Bilderfragen in die Lüfte begibt und um den Globus reist? Obschon sich auch diese Städte einen eigenen Flugplatz leisten, fährt man nach Kiel und Marburg besser mit der Bahn. So wird etwas Zeit gewonnen für das Korrekturlesen von Texten. Da sich ein Volontär im Frankfurter Liebieghaus seinerzeit ein Flugticket sicher noch weniger leisten konnte als dessen Schüler heute im Zeitalter der Billigflieger, starten wir unseren Rundflug also nicht vom größten deutschen Flughafen, sondern von Hamburg-Fuhlsbüttel aus.

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Anmerkungen

  • 1Zitiert nach Christoph Asendorf: Super Constellation – Flugzeug und Raumrevolution. Die Wirkung der Luftfahrt auf Kunst und Kultur der Moderne, Wien/ New York 1997 (= Ästhetik und Naturwissenschaften, Bildende Wissenschaften – Zivilisierung der Kulturen), S. 119.
  • 2So fehlen etwa die Terminals und Hangars der frühen kommerziellen Flughäfen in den großen Arbeiten zur modernen Architekturgeschichte; Wolfgang Voigt: From the Hippodrome to the Aerodrome, from the Air Station to the Terminal: European Airports, 1909–1945, in: John Zukowsky (Hrsg.): Building for Air Travel. Architecture and Design for Commercial Aviation, Munich/ New York 1996 [zugleich Ausst. Kat. The Art Institute of Chicago 1996], S. 27–49, hier S. 41. — Auch aus designhistorischer Perspektive ist die rasante Entwicklung der Passagierluftfahrt bisher noch zu wenig untersucht worden; jüngst dazu Alexander von Vegesack/ Jochen Eisenbrand (Hrsg.): Airworld – Design und Architektur für die Flugreise, Ausst. Kat. Vitra Design Museum, Weil am Rhein 2004, hier S. 6. Eine umfassende Kulturgeschichte der Luftfahrt bietet Asendorf 1997 [wie Anm. 1]; siehe auch Bodo-Michael Baumunk (Hrsg.): Die Kunst des Fliegens, Ausst. Kat. Zeppelin Museum Friedrichshafen, Ostfildern-Ruit 1996.
  • 3Brigitte Rothfischer: Flughäfen der Welt. Alle wichtigen Airports: Geschichte, Fakten und Funktionen, München 2005, S. 86–87.

Literatur

  • Ralph Knickmeier, Flughafenbau als Bildakt | Picturing Airport Architecture, in: Roman Bönsch (Hrsg.): VIE Metamorphosis. Die Veränderung des Flughafen Wien | The Extension and Transformation of Vienna Airport. 2004–2012, Deutsch/ Englisch, Wien 2012, S. 280–287
  • Ralph Knickmeier, Touch-down in Wien | Wie viele Zeichen, Farben und Bilder verträgt ein Flughafen?, in: Maria Effinger/ Stephan Hoppe/ Harald Klinke/ Bernd Krysmanski (Hrsg.): Von analogen und digitalen Zugängen zur Kunst: Festschrift für Hubertus Kohle zum 60. Geburtstag, Heidelberg: arthistoricum.net, 2019, S. 399–408